Abseits der Wow-Effekte: Der Reisealltag

8 11 2015

Hongkong, der 9.11.2015

Hallo ihr Lieben,

Erstmal möchte ich mich entschuldigen, dass die Berichte mit solcher Verzögerung erscheinen. Dies hat verschiedene Gründe. Einerseits kann man sich natürlich nur selten die Zeit nehmen, solch detaillierte Berichte über die Vorkommnisse zu verfassen. Andererseits bin ich aber auch von einem stabilen Wlan abhängig, was vor Allem in China sehr problematisch war. Wenn man 5 Minuten warten muss, um ein Bild von 300 kb Größe hochzuladen, verliert man schnell die Geduld. Einen Bericht ohne Bilder zu veröffentlichen ist jedoch auch wie Frühstück ohne Kaffee. Darüber hinaus hatte ich die letzte Woche mit einem defekten Netbook zu kämpfen. Dass es jetzt plötzlich wieder geht ist ein sehr gutes Beispiel dafür, dass der Reisealltag eben nicht nur aus Action und wundervollen Erlebnissen besteht, sondern, wie im Leben daheim, auch mühsam sein kann. Diese Thematik möchte ich einmal näher ausführen.

Wer einen Blog führt, um seine Erlebnisse den Lieben daheim zu schildern, tut sich manchmal schwer damit, auszuwählen, was man erzählt und wie man es erzählt. Für den Leser mag es nicht unbedingt spannend sein, zu erfahren, dass die Kreditkarte nicht funktioniert, oder dass der Rucksack ein Loch hat. Deswegen neigt man dazu, solche Dinge eben nicht zu erwähnen. Da sie den Alltag jedoch genauso bestimmen wie all die schönen Momente, sollte dafür ebenfalls Platz sein.

  1. Dinge funktionieren nicht immer so, wie sie funktionieren sollen

Während der Reise hatte ich bereits häufig mit Ausrüstung und Situationen zu kämpfen, die nicht so liefen, wie das geplant war. In Russland hatte ich bspw. das Problem, dass erst eine meiner Kreditkarten, dann zwei und letztlich auch meine Girokarte nicht funktionierten und ich teilweise Schwierigkeiten bekam, an Geld heranzukommen. Für das Geldabheben benutze ich bspw. die Kreditkarte der DKB Bank, mit der man weltweit kostenlos Bargeld abheben kann. In Russland habe ich es bspw. nicht geschafft, auch nur einmal mit der Karte Geld abzuheben. Ich musste dazu immer auf meine anderen Karten ausweichen, was dann zusätzliche Gebühren verursachte. Manchmal passierte es dann, dass eine Bank meine zweite Kreditkarte, die der Consorsbank, nicht akzeptierte und Maestrokarten (also Girokarten) erst recht nicht. Dann musste ich bspw. eine andere Bank aufsuchen, die entweder erstere, oder zweitere akzeptieren. Auf der Baikalinsel Olchon wäre mir beinahe das Bargeld ausgegangen, da ich im Supermarkt nicht mit meinen Kreditkarten zahlen konnte und auf der gesamten Insel keine Bankautomaten vorhanden waren. Es war etwas Glück nötig, dass ich die Situation lösen konnte, mehr dazu im entsprechenden Beitrag. Um dann das Problem mit der DKB zu lösen, musste ich also dort anrufen. Wie ruft man in Deutschland an, ohne sich in finanziell in den Ruin zu treiben? Ich erfuhr, dass man über Skype relativ kostengünstig telefonieren kann und entschied mich, Guthaben drauf zu laden. Das hat jedoch mit allen drei Karten nicht funktioniert und ich befürchtete nun, dass keine der Karten (mehr) funktioniert. Zuvor musste ich schon die Funktionalität der Consorskarte anzweifeln, da das bis dahin immer zuverlässige Kaufen von Zugfahrkarten der Transsib auch nicht mehr geklappt hat. Till musste das Guthaben dann für mich zahlen. Ein Anruf bei der DKB ergab, dass meine Karte gesperrt wurde, weil ich wohl ausversehen dreimal hintereinander die PIN falsch eingegeben hab. Man stelle sich nun einmal vor in einem fremden Land zu sein und kein Geld abheben zu können. Bzw. eigentlich ist es nicht so sehr diese Tatsache, sondern eher, dass man laufend einen Schlag auf den Nacken bekommt. All die Dinge, die man sich während der Reisevorbereitung überlegt hat, gingen schief. Das kann sehr demotivierend sein. Mittlerweile ist alles stabil, aber zu dem Zeitpunkt war das unglaublich frustrierend.

Diese Episode soll exemplarisch für viele andere Dinge stehen, die nicht so wie geplant liefen. Bspw. habe ich seit der Mongolei mit einem mäßig funktionstüchtigen GPS zu kämpfen. Während andere ein stabiles GPS Signal empfangen, setzt meines öfter mal aus, oder ist nicht vorhanden. Wenn man reist, wäre das jedoch hilfreich. Das Internet meines Netbooks verursachte letzte Woche Probleme. Es führte zu regelmäßigen Abstürzen, ich fürchtete um meine Daten und Bilder. Ein defekter PC ist schon zu Hause ein Problem. Aber auf der Reise will und muss man sich um andere Dinge kümmern. Heute konnte ich bspw. über eine Stunde lang keine Flugtickets buchen, weil die Anzeige der Website des Anbieters so fehlerhaft war, dass ich andauernd Fehlermeldungen bekam. Die Liste ließe sich deutlich weiter führen. Natürlich kommt da noch hinzu, dass man Wege nicht findet, Züge verpasst oder sonstige Dinge nicht nach Plan verlaufen.

2.   Reisen ist anstrengend

Die Flut an Erlebnissen kann schon manchmal sehr überwältigend sein. Wenn man zu Hause einen ereignisreichen Tag hat, fällt man abends gerne mal ins Bett oder freut sich auf einen gemütlichen Abend vorm Fernseher im Sofa. Sowas gibt es für mich praktisch nicht. Die Nächte, die ich seit Beginn der Reise als erholsam bezeichnen kann, lassen sich fast an einer Hand abzählen. Ob eine Nacht erholsam ist, hängt davon ab, wie lange man schläft und wie ruhig man schläft, da einhergehend auch der Schlafcomfort. Die meisten meiner Nächte habe ich bisher in Hostels und darin in sog. Dorms verbracht. Das sind Mehrbettzimmer, die man sich mit fremden Menschen teilt. Weiterhin habe ich viele Nächte im Zug verbracht, einige Nächte in Privathaushalten und und von allen Nächten 6 Nächte, wo ich ein eigenes, komfortables Bett in einem eigenen Zimmer hatte. Diese Nächte waren wirklich erholsam. Ansonsten hat man regelmäßigen mit schnarchenden oder lauten Menschen, zu kleinen, oder unbequemen Betten, oder sonstigen Widrigkeiten zu kämpfen, die den Schlaf eben nicht so erholsam machen, wie das traute Bett daheim. Irgendwann summieren sich jedoch die Nächte, die weniger erholsam waren, was sich wiederum auf Fitness und Wachheit tagsüber auswirkt. Der Akku entleert sich also immer weiter, was man jedoch nur selten merkt, da man oft unter Adrenalin und (An)Spannung steht. Versteht mich nicht falsch, das klingt nun alles sehr negativ. IdR. reichen schon 1-2 erholsame Nächte aus, um eine Woche weniger erholsame Nächte zu kompensieren. Und das wirkt sich auch nur gering auf die Lebensqualität während der Reise aus. Aber es ist ein Faktor, den ich vor der Reise so nicht erwartet habe.

Abgesehen von der Regeneration im Schlaf bedarf es jedoch auch immer wieder Tage, die frei von größeren Erlebnissen sind. Dazu gehört, dass man u.U. Prioritäten setzen muss, welche Attraktionen man mitnimmt und was eben zu viel wird. Die weltberühmte Terracotta Armee in Xian habe ich aus diesem Grund liegen gelassen, da ich tags zuvor eine anstrengende Wanderung unternahm und den Tag danach zur Regeneration benötigte, um frisch gestärkt meinem nächsten Reiseziel entgegenzutreten. Es tut dann auch gut, einfach im Hostelbett zu liegen, Bundesliga zu schauen und die Action im Aufenthaltsraum des Hostels zu ignorieren.

3. Alleine reisen

Ein Faktor, den ich vor der Reise so gar nicht einkalkuliert habe, ist die Tatsache, dass Alleinereisen öfter auch mal mit Heimweh und Einsamkeit verbunden ist. Dabei fehlen vor Allem die Vertrauten Menschen von zu Hause, was auch durch regelmäßige Bekanntschaften während der Reise nicht kompensiert werden kann. So wirklich alleine ist man während der Reise nie, vorausgesetzt man spricht seine Mitmenschen an, ist kommunikativ und offen. Aber all diese Bekanntschaften sind nicht so erfüllend, wie die Freunde und Familie daheim. So kommt es vor, dass man sich trotz Gesellschaft einsam fühlt. Das hätte ich vorher nicht erwartet, zeigt jedoch auch, wie bedeutsam Familie und Freunde sind. Bisher habe ich nur wenige Reisende kennengelernt, die alleine unterwegs sind. Meistens habe ich mich in bestehende Gruppen eingegliedert, wozu auch immer eine gewisse Überwindung gehört.

4. Organisation während der Reise

Einen nicht unerheblicher Teil der Reisezeit verbringt man mit der Organisation des weiteren Reiseverlaufs. Dazu gehört Transport, Unterkunft und ab und zu kurzfristige Terminänderungen, oder Reiseroutenänderungen. „Bleibe ich in China, oder nutze ich die Gelegenheit und fliege ich in das nahegelegene Myanmar? Wenn letzteres, brauche ich ein Visum? Wie wirkt sich das auf meinen zukünftigen Reiseverlauf aus? Hab ich dann noch gute Möglichkeiten nach Hongkong zu gehen? Wenn nein, habe ich jemals noch mal die Gelegenheit, dorthin zu kommen? Reisen ist also immer auch das Abwägen von Möglichkeiten und das Treffen von Entscheidungen. Oftmals sind Entscheidungen dann relativ spontan, was bspw. die Suche nach Couchsurfinghosts relativ schwer macht. In so kurzer Zeit findet man idR. keine Hosts, die einen Schlafplatz anbieten können. Abgesehen davon muss man ca 10-20 Leute anschreiben, von denen widerum 2-3 positive Rückmeldungen kommen. Das alles kostet Zeit. Wenn man dann von seinen Zimmergenossen zur Kneipentour aufgefordert wird, ist es nicht immer leicht, aus organisatorischen Gründen abzusagen. Flüge und Hostels müssen darüber hinaus auch gebucht werden. Die Organisation wird noch komplizierter, wenn die Technik nicht funktioniert, siehe Punkt eins.

5. Dinge gehen kaputt, bzw. verschleißen

Dass so eine Reise auch eine Belastung für die Ausrüstung darstellt, muss ich langsam immer deutlicher erfahren. So musste ich bereits jeweils ein Loch in meinem Rucksack und ein Loch in meiner Hose flicken. Einen Nachmittag habe ich dann mit Nadel und Faden verbracht. Beides hält mittlerweile aber der nächste Moment kommt bestimmt, in dem man wieder den Mac Giver gibt.

5. Leben aus dem Rucksack

Zu guter Letzt noch ein Punkt, der vl. unangenehm klingen mag, an den man sich aber schnell gewöhnt: Im Rucksack befindet sich alles, was man besitzt. Kleidung, Elektrogeräte, Wertsachen, Ausrüstung. Man kann seine Habseligkeiten noch so systematisch packen, Unordnung kommt immer wieder vor und dann sucht man Dinge. Der gesuchte Gegenstand ist dann natürlich fast immer ganz unten. Man gewöhnt sich jedoch daran. Man entwickelt gewisse Strategien, versucht die Gegenstände immer in die selben Fächer zu packen. Darüber hinaus besitzt man dann eben keinen Kleiderschrank, oder Schreibtisch. Das Leben ist deutlich einfacher, jedoch deswegen nicht unbedingt schlechter.

 

Die genannten Punkte sollten keineswegs zu negativ klingen. Beschönigen möchte ich jedoch auch nichts. Letztlich macht man auf Reisen immer Erfahrungen. Man lernt Länder, Menschen und sich selbst kennen. Es ist deshalb immer lehrreich, jedoch nicht immer angenehm. Am Anfang viel es mir schwer dies zu akzeptieren, nun gelingt mir das jedoch Stück für Stück immer besser.

Liebe Grüße aus Hongkong, morgen geht es nach Vietnam

 

euer André

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3 Antworten zu “Abseits der Wow-Effekte: Der Reisealltag”

  • Adri sagt:

    Sehr geil. Bei vielen Dingen kann ich mir dich bildlich vorstellen. Beispielsweise bei der Visa Beantragung. Da kam bestimmt so ein großer Tropfen am Hinterkopf und du bist zusammengebrochen wie bei Dragon Ball. Auch das Wort „ergattern“, dass du sehr gerne benutzt, klingt wie wenn du bei gothic rum rennst und iwo nen Apfel ergatterst nur um dann vom Gegner direkt eine mit dem Schwert übergebraten zu bekommen

  • Jule sagt:

    Andreeee, fand den Eintrag super spannend, weil du so genau beschrieben hast, was eine Reise eben auch bedeuten kann. Wie gut, dass du dich ganz schön ausführlich auf die Reise vorbereitet hast. Außerdem ist es bestimmt hilfreich, immer mal wieder Tips von MItreisenden zu bekommen oder jmd zu haben, der auch mal aushelfen kann…- und Leute kennen lernen, das fällt dir ja nicht schwer ^^

    Gespannt auf den Bericht aus Hongkong! Jule

  • Marlene sagt:

    Ich finde, du hast das super gemeistert und wenn du diesmal einen Apfel ergattert hast, hat er dir bestimmt super geschmeckt :-). Viel Spaß noch und wir sind gespannt auf deine weiteren Erzählungen!!!

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