20.9. – 30.9.
Ich habe mich zugegebener Maßen die letzte Zeit immer etwas davor gedrückt, den Beitrag über die Fahrt mit der Transsib zu verfassen. Es ist gar nicht so leicht, all die Etappen und Eindrücke zusammen zu fassen. Außerdem steht der letzte Abschnitt von Ulan Bator nach Peking noch bevor und ein Teilabschnitt der Strecke von Moskau nach Peking habe ich gar nicht mit der Bahn, sondern mit dem Bus zurückgelegt. Somit sind die Erlebnisse, die man auf so einer Reise macht in keinster Weise vorhersehbar und schwer zusammenzufassen. Ich versuch einmal, vorne zu beginnen.

Am Zug angekommen
Als ich nach 5 Tagen in Moskau endlich vor meinem Zug stand, der mich auf meinem ersten Streckenabschnitt nach Nizhnij Nowgorod bringen sollte, war ich äußerst aufgeregt. Der Wunsch, meine Reise mit der Transsib zu beginnen, war einer der ersten, der zu Beginn der Planung meiner Reise konkret wurde. Ich wusste immer, dass ich die Reise mit der Transsib beginnen wollte und da stand ich nun. Das Reisen mit der Transsib ist mittlerweile für mich selbstverständlich, aber wenn man ehrlich ist, dann ist so eine Fahrt für einen Deutschen eher etwas Exotisches. Und als Exot habe ich mich da auch gefühlt, denn ich war umgeben von Einheimischen. Nirgendwo waren andere Backpacker zu sehen und als sich der Zug in Bewegung setzte und ich eine erste Tour durch die Abteile machte, konnte ich auch keine weiteren Touristen entdecken.

Glücklich im Zug
Zunächst einmal war ich beruhigt, dass es sich bei meinem Zug tatsächlich um einen der Transsib handelt. Es gibt nämlich nicht „die Transsibirische Eisenbahn“, es handelt sich dabei vielmehr um eine Strecke, die von Hunderten von Zügen frequentiert wird. Dabei gibt es Züge, die größere Abschnitte zurücklegen und damit eher als „Transsib“ bezeichnet werden dürfen und andere Züge, die nur Teilabschnitte befahren und sich auch äußerlich etwas von den Originalzügen unterscheiden. Das wichtigste war jedoch, dass die Züge dieselbe Strecke abfahren, wie sie schon Jahrhunderte zuvor errichtet wurde und dass sie sich innerlich gleichen, sodass auch in den nicht-originalen Zügen sofort Transsib-Flair aufkommt.
„Wenn ich an meine Fahrten durch Russland zurückdenke, erinnere ich mich vor allem der russischen Eisenbahnwagen…In einem russischen Fernzug richtete sich alsbald ein gemütliches Leben ein.“ Fedor Stepun

Mit Bier und Reiseführer im Zug
Genauso ist es. In den Transsibzügen gibt es 3 verschiedene Klassen, wobei die erste Klasse vermutlich nur in den originalen Zügen existiert, zumindest gab es in meinen Zügen nie eine erste Klasse. Die zweite Klasse (Coupé) besteht aus 4-Bett Abteilen. Diese wiederum bestehen aus 2×2 Betten übereinander und einem kleinen Tisch in der Mitte. Eine Schiebetür separiert das Abteil vom Gang. Die dritte Klasse wiederum kann als Großraumwaggon bezeichnet werden. Ein schmaler Gang zieht sich durch den Waggon, an dessen Seite bereits Betten entlang gestaffelt sind. Dazu schließen sich zur anderen Seite offene Abteile mit je 2×2 Betten an. Somit teilt man sich einen Waggon mit schätzungsweise bis zu 40 anderen Personen, woraus sich eine besondere Atmosphäre ergibt, welche man nur in den russischen Zügen erleben kann.

Dritte Klasse der Transsib
Die ersten beiden Zugabschnitte wollte ich in der authentischen 3. Klasse (Platzcard) erleben und die Reise war zugegebermaßen nicht sehr komfortabel. Im Gegenteil: Vor Allem wenn man ein oberes Bett im offenen Abteil bekommt kann allein schon das Heraufklettern zu einer anstrengenden Hürde werden. Es gibt lediglich eine kleine Sprosse, mit der man auf das obere Bett gelangt. Darin kann man dann im Grunde genommen auch nur liegen, da bereits 50 cm über dem Bett die Gepäckhalterung beginnt, so dass man sich nur halb aufrichten kann. Da das Bett selbst gerade genug Platz bietet, um darin zu liegen und vl. ein Buch abzulegen, deponiert man sein Handgepäck oben auf diese Gepäckablagerung. Daraus ergeben sich amüsant-anmutende Verrenkungen.

Schaffnerin und Gäste an einem Bahnsteig

Hat großen Anteil an der Gemütlichkeit im Zug: Der Warmwasserspender für Tee, Kaffee oder Suppe

Gang im Wagen der 2. Klasse
Generell kann man in der dritten Klasse unterschiedliche Erfahrungen machen. Von extrem ruhig (wie es bei mir war) bis extrem wild (in vielen Erzählungen gehört) kann einem alles passieren. In meinem Fall war es auf allen teilabschnitten sehr ruhig. Entgegen meiner Erwartungen wurde nirgends Vodka getrunken, nirgends laut gegrölt, oder Party gefeiert. Im Gegenteil: Die Russen gehen sehr behutsam miteinander um, jeder ist darauf bedacht, möglichst wenig zu stören. So war es zumindest immer in meiner Umgebung. Ich würde sogar behaupten, dass solch ein System in Deutschland gar nicht möglich wäre, da sich die Leute spätestens nach einer halben Stunde gegenseitig an die Gurgel gehen würden. Hier reisen die Russen teilweise über Tage auf engstem Raum gemeinsam. Das ist schon sehr beeindruckend.
Das nennenswerteste auf meinem ersten Teilabschnitt von Moskau nach Nizhnij Nowgorod war eine nette Dame, die mir im Platzcard Abteil gegenüber saß. Voll motiviert nahm ich irgendwann meinen Wörterbuch heraus und zwang ihr ein Gespräch auf: Wie heißt du, woher kommst du, blabla, natürlich alles auf russisch. Weiter kamen wir jedoch nicht, da ich ihre weiteren Fragen nicht verstanden habe und sie kein Wort Englisch sprach. Allerdings ergaben sich im Folgenden einige amüsante Begebenheiten, denn die Dame hat mir unbewusst so ziemlich jede Handlung nachgemacht. Zunächst dachte ich mir, dass ich mir das nur einbilde, aber dies zog sich über die kompletten 6 1/2 Stunden Fahrt: Legte ich mich hin, legte sie sich auch hin. Drehte ich mich auf den Bauch, drehte sie sich auch auf den Bauch. Hab ich mich zum Essen hingesetzt, tat sie es mir gleich. Sie ging nur einmal (selbstständig) auf Toilette. Ansonsten taten wir mehr oder weniger immer das gleiche. Dazu muss man sagen, dass wir beide ein unteres Bett hatten, wo alle Handlungsabläufe deutlich einfacher sind als oberhalb.

Dorf zwischen Moskau und NN
Landschaftlich tat sich im ersten Streckenabschnitt noch nicht alzu viel, aber man kommt trotzdem nicht umher, die meiste Zeit aus dem Fenster zu schauen und die Landschaft an sich vorbeirauschen zu sehen. Es ging eine gute Stunde durch Moskauer Vororte, danach meist durch eine abwechselnde Landschaft aus Wald und Dörfern. Abends kam ich dann in Nizhnij Nowgorod an, wofür ich ja bereits einen Artikel verfasste.
Der nächste Streckenabschnitt von NN nach Nowosibirsk sollte der längste werden: 47 Stunden Zugfahrt, eingerichtet in einem oberen Platzcard-Bett. Weniger Komfort geht nicht, zumal der Zug deutlich voller war, als der vorherige. Als ich mein Bett erreichte, fand ich mich in einer Gruppe von Babuschkas wieder, die mir sofort bereitwillig beim Beziehen des Bettes halfen, was von unten gar nicht so leicht ist und von oben aus erst recht gar nicht möglich ist. Besonders gesprächig waren sie dennoch nicht. Allerdings habe ich mittlerweile gelernt, dass man als Frau deutlich leichter mit Einheimischen ins Gespräch kommt. Vor Allem ältere Damen sind gegenüber Männern eher reserviert, während man als Frau sehr herzlich empfangen wird. Naja gut, auch kein Problem für mich. Nett war es trotzdem. Die Zugfahrt ging um 18:30 Uhr los. Zwischendurch bin ich eingeschlafen und als ich aufwachte, merkte ich, dass die eine Babuschka sogar oben auf dem gegenüberliegenden Bett lag. Das finde ich eine sportliche Leistung. Da muss man in dem Alter erstmal hochkommen…

Ausblick vom oberen Bett in der dritten Klasse
Der komplette Tag danach verlief seehr ruhig. Der Zug durchquere zunächst den Ural, der entgegen vielleicht mancher Erwartung kein gewaltiges Gebirge ist, sondern eher eine Mittelgebirgslandschaft offenbart. Der Zug schlängelte sich durch zarte Täler, die an manchen Stellen etwas dem Schwarzwald ähneln.

Der Ural
Ich machte es mir an diesem Tag zum Ziel, den Grenzstein, der die geografische Grenze zwischen Europa und Asien markiert, zu fotografieren. Mein Reiseführer hat den genauen Kilometerpunkt beschrieben und wenn man auf der rechten Seite des Zuges aus dem Fenster blickt, sieht man die Kilometersteine in regelmäßigen Abschnitten an sich vorbei ziehen. Je nach Geschwindigkeit des Zuges und nach Nähe des Steines zum Zug, ist es gar nicht so leicht, die Ziffer darauf zu erkennen. Da mir dies zunächst nicht gelang, fragte ich diverse Schaffnerinnen (in den zügen gibt es nur weibliche Schaffner) danach, wann wir ungefähr den Grenzstein passieren. Nachdem ich drei verschiedene Antworten bekam, versuchte ich es dann lieber doch nochmal selbst und konnte dann einen Kilometerstein entziffern. Er sagte mir, dass es noch 280 Km zu gehen sind, was ca. 3 Stunden weitere Fahrt bedeutete. So konnte ich mich zunächst anderen Dingen widmen: Musik hören, lesen, Bier im Speisewagen kaufen…

Frauen verkaufen getrockneten Fisch am Bahnsteig.
Irgendwann war es dann so weit. Nachdem ich immer wieder die Kilometersteine checken konnte waren wir noch 2 Km vom Grenzstein, ein 4 m hoher Obelisk entfernt. Wir bewegten uns mit ca. 70 KmH, was bedeutete, dass man schnell sein musste, wenn man den Stein fotografieren wollte. Dann war es noch 1 Km und ich hielt meine Kamera bereit….da ist er!! Und genau in dem Moment als ich abdrückte…verdeckte ein Oberleitungspfosten den Obelisken…Ich überlegte, ob ich mich ärgern sollte, oder ob ich es lustig finden sollte und entschied mich für letzteres und habe den Babuschkas versucht zu erklären, was mir gerade passierte…

Das Meisterwerk…
In Jekaterinburg stiegen zwei Franzosen dazu, welche die ersten Touristen waren, die mir auf der Fahrt begegneten. Wir quatschten eine Runde und vereinbarten ein gemeinsames Vodkatrinken für den Abend. Wir machten uns dann auf zum Speisewagen und tranken dort einige Runden und unterhielten uns nett. Interessant, dass ich mein erstes Vodkaerlebnis mit zwei Touristen hatte.

Russen am Bahnhof von Jekaterinburg

Der Bahnhof von Jekaterinburg
Als ich am nächsten morgen aus dem Fenster blickte, bot sich mir ein gespenstiges Bild: Es war neblig und die Landschaft war sumpfig – Wir hatten die sibirische Tiefebene erreicht. Von meinem Reiseführer wusste ich, dass man hier eine flache Ebene dargeboten bekommt, die bis zum Horizont reicht. Der Nebel verdeckte mir jedoch einstweilen die Sicht. Schön anzuschauen war es dennoch.

Gespenstige Atmosphäre in der sibirischen Tiefebene

Der Nebel lichtet sich
Gegen Mittag stiegen zwei Russen in unser offenes Abteil, welches zuvor von 2 der Babuschkas geräumt wurde. Als wir später ins Gespräch kamen, stellte sich heraus, dass die beiden professionelle Eishockeyspieler der ersten russischen Eishockeyliga sind. Ihr Englisch war zwar sehr gebrochen aber wir konnten uns dennoch gut unterhalten und hatten viel Spaß. Das war die netteste Begegnung in der Transsib! Als wir dann gemeinsam in Nowosibirsk ausstiegen waren die beiden mir noch sehr behilflich bei der Wegfindung.

Die beiden Eishockeyspieler und ich; Ja es ist verwackelt, aber die Dame war nicht in der Lage, bessere Fotos zu machen 😉
Der nächste Streckenabschnitt von Nowosibirsk nach Irkutsk sollte 36 Stunden dauern. Diesmal wollte ich die Vorzüge der 2. Klasse kennenlernen, welche nur unwesentlich teurer ist, als die dritte Klasse. Und es stellte sich heraus, dass diese deutlich komfortabler ist. Auf das obere Bett führt eine Leiter, man hat mehr Platz um sein Gepäck zu verstauen, das Bett ist etwas bequemer, man kann die Tür zum Gang schließen und die Luft ist nicht so stickig.

Deutlich bequemer in der 2. Klasse
Nennenswerte Bekanntschaften machte ich dort jedoch nicht. Landschaftlich war dieser Streckenabschnitt jedoch sehr hübsch: Die 50 Km nach Krasnojarsk schlängelte sich die Bahn durch enge Täler, deren Hänge viele kleine liebevoll gestaltete Datschen und Häuschen zierten. Hier wechselte sich Schönheit und Verfall in regelmäßigen Abschnitten ab. Während das eine Häusschen hübsch verziert und instand gehalten wird, gleich das nächste Haus einer Bruchbude. Manche Häuser sind halbfertig, ganze Straßenabschnitte scheinen verlassen und in den Gärten liegen kaputte und verrottete Autos oder sonstiger Gerümpel. Hier zeigen sich die Auswirkungen des Zerfalls der Sowjetunion besonders.

Zerfall auf dem russischen Land

Hügel mit Häusschen
Nach dem Abstecher auf die Baikalinsel Olchon und nun in Begleitung von Till, ging es im nächsten Streckenabschnitt von Irkutsk nach Ulan-Ude, wo sich die Transsib-Strecken aufteilen. Die originale Strecke verläuft von dort östlich weiter bis nach Wladiwostok. Die transmongolische Route biegt in Ulan Ude Richtung Süden in die Mongolei ab. Auch dieser Streckenabschnitt war besonders schön und Till und ich wechselten immer wieder zwischen den Blickrichtungen hin und her weil, sowohl links vom Zug der Baikalsee, als auch rechts vom Zug die Gebirgslandschaften atemberaubende Blicke darboten. Manchmal führte die Zugstrecke direkt am Ufer des Baikalsees entlang. Auch dieser Streckenabschnitt war ruhig und nach ca. 9 Stunden erreichten wir Ulan Ude.

…auf der anderen Seite Gebirgszüge

Auf der einen Seite der Baikalsee…
Den bisher letzte Streckenabschnitt beschlossen wir, mit dem Bus zurückzulegen. Die Zugfahrt bis nach Ulan Bator hätte 18 Stunden gedauert, was vor allem an einem sehr langwierigen Grenzprocedere liegt. An der Grenze hat man bis zu 6 Stunden Aufenthalt, bis der Zug endlich die Grenze zur Mongolei passieren kann. Da der Zug darüber hinaus mitten in der Nacht angekommen wäre, entschieden wir uns für den Bus, der knapp 10 Stunden brauchte und dadurch noch abends ankam.
In Ulan Ude selbst passierte nicht alzu viel, weswegen ich dem Ort keinen eigenen Beitrag widmen werde. Zwei Dinge sind nennenswert: Einerseits ein riesiger Leninkopf, der den zentralen Platz der Stadt ziert. Wir hatten ihn auf ca.7-10 m Höhe geschätzt. Andererseits unsere Suche nach dem Busbahnhof, die sich als alles andere als einfach herausstellte. Sowohl abends auf der Suche nach dem Busbahnhof, als auch am nächsten morgen, wo wir dann definitiv den Bus nach Ulan Bator nehmen wollten, wurden wir beide Male erstmal an einen „falschen“ Busbahnhof gelotst. Zumindest fuhren dort nicht die Busse ab, die wir brauchten und Tickets konnte man da auch nicht kaufen. Auch die verzweifelten Versuche eines älteren russischen Herrn, halfen uns nicht, den wahren Busbahnhof zu finden. Erst die Gestik einer Dame, welche wir beim zweiten Versuch am nächsten morgen trafen, ab uns die grobe Richtung vor. Als wir dann auf dem Weg noch zwei Russinnen nach „Avtowoksal“ fragten, bestätigten sie uns in unserer Richtung. Dort fanden wir dann tatsächlich den richtigen Busbahnhof samt Bus, der nach UB fahren sollte. Glücklich stiegen wir in den Bus ein. Dieser war bereits sehr exotisch eingerichtet und nicht mehr so ganz mit dem Interieur von westlichen Bussen zu vergleichen. Überall waren verzierte Gardinen aufgehängt und es ergab sich ein asiatisches Setting.
Das Grenzprocedere dauerte auch mit dem Bus recht lang. Insgesamt mussten wir auf russischer Seite zwei mal den Bus verlassen und dreimal unser Visum vorzeigen. Drogenhunde durchschnüffelten unser Gepäck und wir mussten durch Metaldetektoren. Auf mongolischer Seite mussten wir weitere zwei Male den Reisepass vorzeigen, bis wir endlich die Mongolei betraten.
Sofort eröffneten sich uns die charakteristischen riesigen, weiten Landschaften, welche ich im Beitrag über die Mongolei noch genauer beschreiben werde.
Abends kamen wir dann in Ulan Bator an, wo mein Abenteuer in der Mongolei beginnen sollte.
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