Die Leitermafia auf der chinesischen Mauer: Peking Tag 2

5 12 2015

17.10.

 

Höchste Smogstufe in Peking

Höchste Smogstufe in Peking

Früh morgens um halb 7 machten wir uns auf den Weg Richtung chinesische Mauer. Da diese sehr lang ist, kann der eifrige Tourist zwischen unterschiedlichen Teilstücken wählen, die er besuchen möchte. Von Peking aus sind die Mauerteile bei Badaling, Mu tjan Yu und einem dritten Ort, dessen Name mir nicht mehr einfällt besuchbar. Es ist allgemein bekannt, dass ersteres Teilstück sehr touristisch ist, da es am einfachsten von Peking erreichbar ist. Deswegen entschieden wir uns für das zweite Teilstück, da man dort auch die Möglichkeit hat, neben der Great Wall die sog. Wild Wall zu besteigen. Dabei handelt es sich um einen dem Verfall und der Natur überlassenen Teilstück der Mauer, welches sich ca. 8 Km an das Teilstück bei Mu tjan Yu anschließt. Wild Wall klang in unseren Ohren sehr abenteuerlich und verheißungsvoll und wir sollten diesbzgl. nicht enttäuscht werden.

Doch zunächst mussten wir uns erst einmal den Weg zum offiziellen Teil der Mauer bei Mu tjan Yu bahnen. Dies gelang aufgrund von Peters Vorarbeit relativ problemlos. Wir erwischten einen frühen Bus, der uns in den Ort nahe der Mauer brachte. Von dort benötigten wir ein Taxi, welches auch recht schnell gefunden wurde.

Propagandavideos im Bus zur Mauer

Propagandavideos im Bus zur Mauer

Der arme Chinese, der im Taxi saß und eigentlich damit rechnete, gleich vom Taxifahrer an seinen Wunschort gebracht zu werden, wurde ob unserer größeren Zahlkraft einfach wieder rausgeschmissen. Dann ging es für umgerechnet 3,50 Euro pro Nase eine halbe Stunde durch die Bergwelt entlang der Mauer. Wer sich jedoch nun idyllische Ausblicke und unberührte Natur vorstellt, den muss ich leider eines besseren belehren: An diesem Tag war für den Großraum Peking die höchste Smogstufe ausgerufen worden. Alles lag in einer dicken Suppe aus Smog. Die Sichtweite betrug vielleicht 200m. Keine guten Vorraussetzungen für den Besuch der großen Mauer. Wir ließen uns jedoch nicht entmutigen.

An der Talstation der Mauer angekommen bezahlten wir den Eintritt und das Ticket für einen weiteren Bus, der uns zur Gondel, bzw. zum Treppenstieg hoch zur Mauer brachte. Sportlich wie wir waren, liefen wir natürlich die Treppenstufen hinauf, was uns einen guten Vorgeschmack auf die noch folgenden Strapazen gab. Einigen Touristen, die bei der Hälfte des ca. 45 minütigen Aufstiegs keuchend und am Ende ihrer Kräfte strandeten, haben dadurch bereits ihr ganzes Pulver verschossen. Da der Weg auf der Mauer nicht weniger anstrengend war, prophezeite ich ihnen im Nachhinein einen sehr kurzen Ausflug zur Mauer…

 

Oben angekommen durchdringt einen zunächst ein wahnsinniges Gefühl der Erhabenheit. Wow, du stehst auf der chinesischen Mauer. DIE chinesische Mauer! Wieder so ein Bewusstseinsschub. Es war jedoch leider erwartungsgemäß neblig und die nebenstehenden Bergketten versanken in der Smogsuppe. Dies war etwas schade, dennoch war der Eindruck dadurch nur minimal geschmälert: Hierbei handelt es sich um ein Meisterstück menschlicher Architektur. Das musste man bereits nach einer halben Stunde Fussmarsch zugeben. Diese Mauer geht einfach immer weiter. Die hört nicht einfach auf. Da wir viel vorhatten, marschierten wir im Stechschritt durch die Massen an Touristen. Von denen gab es mit fortschreitender Distanz zum Ausgangspunkt immer weniger und auch die Treppenstiege wurden länger und steiler. Es fiel jedoch auf, dass die Chinesen erstaunlich fit sind. Selbst ältere Herrschaften meisterten die teils beschwerlichen Treppenstiege. Dass diese nicht nur physisch, sondern auch geistlich jung geblieben sind, erkennt man immer wieder daran, wie gerne sie sich mit Selfiestick und schöner Aussicht zu einem gelungenen Selfie positionieren.DSCN3593 DSCN3591

So ging es für uns für gute zwei Stunden auf und ab, bis plötzlich der begehbare Teil der Mauer scheinbar zu Ende war. „No trespassing!“ und „The Wall ends here“ war auf Schildern zu lesen. Allerdings war auch niemand da, der darauf aufpasste, dass sich alle brav daran halten. Die Schilder ignorierend, wandelte sich das Bild der chinesischen Mauer ein paar Meter später drastisch: War die Mauer vorher noch fein herausgeputzt, mit Treppenstufen versehen und einigermaßen bequem begehbar, war das Bild nun von wildem Bewuchs und Zerfall geprägt. Ein wohliges Kribbeln stellte sich ein, hatte man doch das Gefühl, einem richtigen Abenteuer entgegen zu marschieren. Die Atmosphäre war nun auch ganz anders. So bewegte man sich zuvor einigermaßen anonym durch die Touristenmassen. Nun traf man alle 50 m auf entgegenkommende Abenteuer, die stets freundlich mit „Nihao!“ grüßten.

The Wild Wall

The Wild Wall

Bevor es ernst wurde, checkten wir zunächst unsere Wasservorräte. Obwohl es nicht sonderlich heiß war, vl. 25 Grad und man die Sonne kaum sehen konnte, gestaltete sich die Wanderung als schweißtreibende Angelegenheit und man bekam trotzdem das Gefühl, einer nicht unbeachtlichen Menge an UV Strahlung ausgesetzt zu sein. Dies spiegelte sich auch im zur Neige gehenden Wasservorrat wieder, welchen wir gedachteten aufzufüllen. Bevor der wilde Teil der Mauer begann, fanden wir zur Linken eine smarte Verkäuferin, die ihren Stand dadurch bewarb, dass er der letzte Stand für die nächsten 10 Km war, der Wasser anbot. Da muss man natürlich die Gunst der Stunde nutzen und sich kräftig eindecken. Die etwas überteuerten Preise konnte wir durch Mengenrabatte ausgleichen. Dann hab ich mir noch mein Longsleave über den Kopf gebunden und los gings.

 

Zunächst stapfte man noch relativ eben über Stock und Stein. Man schlängelte sich durch das Bewuchs und die Aufgabe bestand darin, nicht über eine der vielen Wurzeln zu stolpern, die aus dem Gestein gebrochen waren. Die Mauer glich nun eher einer großen zusammenhängenden Ruine und die Türme, die man in regelmäßigen Abständen auch schon auf dem präparierten Teil der Mauer passierte glichen nun eher größeren Schutthaufen, die man manchmal passieren, aber manchmal auch um- bzw. beklettern musste. Nach einer guten Stunde wurde es bereits deutlich beschwerlicher denn man musste nun dieselben steilen Auf- und Abstiege meistern, die beim präparierten Teil der Mauer mit Treppenstufen versehen waren. Dies konnte teilweise nur auf allen Vieren gelingen. Bilder können hier auch wieder nur einen groben Eindruck vermitteln.

"Hinaufkrabbeln"

„Hinaufkrabbeln“

 

Eine der Schlüsselszenen und m.E. bestes Beispiel für einen Teil der chinesischen Mentalität sollte sich im Folgenden begeben: Nachdem wir einen Turm passierten, staute es sich am Ausgang desselbigen. Wir reihten uns in eine Schlange ein, und wurden langsam in Richtung Ausgang gedrückt. Als wir näher kamen erkannten wir das Problem. Die Treppe, die vom Turm runter auf die Mauer führte war komplett weggebrochen und man musste irgendwie die 2,5m bewältigen, um entweder vom Turm runter auf die Mauer, oder von unten hoch an den Eingang des Turms zu gelangen. Dazu hatte man zwei Optionen: Entweder ließ man sich von oben herabfallen, oder kletterte mit vereinten Kräften und Räuberleiter nach oben. Oder: Man nutzte die Leiter die eine vermeintlich freundliche Chinesin dort positioniert hat. Diesen Eindruck von ihr hatte man jedoch nur solange, bis sie einem entgegenraunte, doch gefälligst 5 Yuan für das Benutzen der Leiter zu zahlen. Hier wurde also ein Problem erkannt und für die Lösung des Problems Geld verlangt. 5 Yuan sind zwar umgerechnet nur ca. 80 ct. Aber es geht ums Prinzip: Es ist schwer vorstellbar, dass man irgendwo zur Kasse gebeten wird, um eine Barriere zu überwinden. Noch nicht mal die Chinesen waren bereit, dieses Geld zu zahlen, weswegen es sich auch dementsprechend staute. Diese Dame war Teil einer Gruppe von Leuten, denen wir auf dem wilden Teil der Mauer noch einige Male begegnen sollte, weswegen ich dies Gruppe die „Leitermafia“ nannte. Nutzte man die Leiter nicht, wurde man dann noch mit einem hasserfüllten Blick sondergleichen versehen. Einfach unglaublich.

Der Leitermafia entgehen

Der Leitermafia entgehen

 

Da es deutlich einfacher war, hinabzusteigen, stellte es für uns kein großes Problem dar, diese Barriere zu bewältigen (und für Peter mit seinen 1,95m schon gar nicht). Im Folgenden wurden die Hindernisse dann auch immer größer, steiler und schwieriger zu bewältigen. An einer Stelle ging es bspw. einen sehr steilen Pfad entlang größerer Felsen hinab, welcher nur mit natürlichen Stufen versehen war. Hier musste man schon richtig klettern und, wer hätte es geahnt, am Ende gab es wieder eine Leiter. Auch hier wollte man natürlich nicht zahlen, weswegen es sich auch hier wieder staute. Aber es ist irgendwie auch unterhaltsam, wenn jeder so auf seiner Stufe steht, immer wieder eine Stufe nach unten klettert, zwischendurch entgegenkommende Wanderer passieren lässt. Das gemeinsame Durchstehen dieses Abenteuers hatte etwas Verbindendes. Kletterfähigkeiten wurden im Folgenden immer wieder auf die Probe gestellt, man hatte jedoch nie das Gefühl, dass es irgendwo ernsthaft gefährlich werden könnte, oder dass manche Passagen kurz davor waren einzustürzen. Alles wirkte fest. Nur manchmal musste man lose aufeinander gestapelte Steine beklettern, was sich manchmal als etwas wackelig gestaltete.

Die Leitermafia verursacht Stau

Die Leitermafia verursacht Stau

Andre Wahl 2015 an der chinesischen Mauer

Andre Wahl 2015 an der chinesischen Mauer

Gegen Ende trafen wir dann auf ein Pärchen aus Brasilien, die uns entgegen kamen und, nachdem sie von uns erfuhren, dass wir bereits 4 Stunden auf dem wilden Teil der Mauer klettern und man danach noch ca. 2 Std benötigte, um bis zum Ausstieg aus der Mauer zu kommen (dort wo unsere Wanderung began), sich entschieden umzukehren und die letzte Stunde mit uns gemeinsam zurück zu laufen. Peter und ich hatten es etwas eilig, da es bereits Nachmittag war und wir nicht wussten, wann der letzte Bus zurück nach Peking fuhren. Vor Allem ich wurde langsam nervös, da ich keine Lust hatte, die Nacht irgendwo einem Dorf zu verbringen (sofern es nicht unbedingt nötig war). Die Brasilianer hielten uns jedoch immer wieder auf, weil sie Pausen benötigten und Selfies machen wollten. Irgendwann erreichten wir dann jedoch den Ausstieg aus dem wilden Teil der Mauer.

Peter

Peter

Man konnte zu beiden Seiten absteigen, was wie immer über die Leiter der Leitermafia geschehen sollte. Auch hierfür war ich mir zu schade, weswegen ich eine improvisierte Treppe 5 m weiter hinten nahm. Das war, wie sich herausstellte ein Fehler, denn der Leitermafiosi kam danach wild auf mich zu geeilt und wollte mir für das Benutzen der Treppe 5 Yuan abknöpfen. Mist, reingefallen. Als ich ihn zunächst nicht verstand, wurde er richtig wütend und packte mich am Arm. Mich zusammenreißend und Ruhe bewahrend knallte ich ihm die 5 Yuan vor den Latz und wartete, bis die anderen sich ihren kostenlosen Weg hinab von der Mauer bahnten. Peter fand einen gut passierbaren Weg, weswegen es ihm auch viele Chinesen nachtaten und dem Geschäft des Leitermafiosis sicherlich nicht gut tat. Nun folgte ein ca. einstündiger Abstieg hinab ins Tal. Dann kamen wir in einem Dorf an, wo einige Busse standen und auf ihre Kunden warteten. Für uns schien jedoch auf den ersten Blick kein Bus benutzbar zu sein. Auf Nachfragen hin versuchten uns die Chinesen im Dorf klar zu machen, dass die öffentlichen Busse auf der anderen Seite der Mauer abfahren und dass wir hier auf der falschen Seite wären. Noch rechtzeitig auf die andere Seite zu kommen, war jedoch unmöglich. Wir mussten also improvisieren. Prinzipiell brauchten wir nur jemanden, der uns in das Dorf nahe der Mauer brachte, damit wir von dort den Bus nach Peking zurück nehmen konnten. Dafür quatschten wir einen Dorfbewohner an, ob er uns nicht dorthinbringen könnte. Er signalisierte uns, dass es sich dabei um eine eineinhalbstündige Fahrt handelte, weswegen er 500 Yuan haben wollte (ca. 80 Euro, also 20 Euro pro Kopf). Wir handelten ihn auf 300 Yuan runter und wurden dann von ihm gefahren. So endete dieser Tag mit einiger Aufregung aber auch einem wundervollen Erlebnis. Leider wurde das Gesamtbild dann noch etwas dadurch getrübt, dass das Geld, was ich von den beiden Brasilianern bekam, Falschgeld war. Dies merkte ich jedoch erst, als ich bereits wieder in Peking war und mein Essen im Restaurant zahlen wollte. Man konnte deutlich spüren, dass die Banknoten nicht echt waren, da sie sich wie Papier anfühlten. Somit hatte ich ca. 22 Euro an Falschgeld bei mir, was ich im Laufe der Chinareise auch nicht wieder loswerden konnte. Da Falschgeld in China sehr üblich ist betrachtete ich die Scheine als schwarzen Peter, den man versuchte, an jemanden zu übertragen. Wie gesagt, gelang mir das nicht mehr und die Scheine befinden sich jetzt immer noch in meinem Portmonnaie. So habe ich wenigstens ein Andenken an diesen Trip.

Zwei Abschiedsbilder von der Mauer

Zwei Abschiedsbilder von der Mauer

DSCN3633



Aktionen

Informationen

Schreib einen Kommentar

Du kannst diese Tags verwenden : <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>